Die Alte Schule Äbtissinsteig hat nicht den Abriß verdient, sondern die Integration in ein maßvolles Gesamtneubauprojekt auf dem Grundstück.
Der Äbtissinsteig hat in diesen letzten Monaten schon mehrere Lichterketten für den Erhalt erlebt. Am 6. Dezember werden es hoffentlich so viele Beteiligte, dass sich auch der Essener Stadtrat davon beeindrucken läßt und dort nicht nur auf maximale Vermarktungserlöse setzt.
Bürgerschaftlich engagierte Menschen wie Erwin Wiemer oder Winfried Breyvogel, ebenso wie die Essener Grünen, insbesonders die Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Hiltrud Schmutzler-Jäger und Yilmaz Günes, stellvertretender Bezirksbürgermeister in der BV VII oder bei der Linken der Steeler Bezirksvertreter Jürgen Zierus, sorgten bisher dafür, dass die Alte Schule am Äbtissinsteig keiner schnöden Allerweltsvermarktung zum Opfer gefallen ist.
Städtische Immobilienverwaltung muß Stadtteilentwicklung und nicht nur ökonomische Fakten beachten!
Zum Jahresende 2017 wird es allerdings ernst – Gebäude und Grundstück wurden von der städtischen Immobilienverwaltung auf dem Markt angeboten. Die möglichen Interessenten haben bereits alle bereits ihre Angebote abgegeben und jetzt entscheiden die vorgelegten Baukonzepte und die Erlösmöglichkeiten.
Dass Grüne oder die Linken nur Konzepte akzeptieren wollen, die Neubauten auf dem Grundstück mit dem Gebäudeerhalt und einer zumindest teilweisen sozio-kulturellen Nutzung verbinden, versteht sich von selbst. Dass diese Front aber noch lange nicht ausreicht, um SPD und CDU zu überzeugen, versteht sich ebenfalls.
Gut, dass sich der Kulturbeirat der Stadt Essen in seiner Novembersitzung ohne jede Gegenstimme mit einer deutlichen Stellungnahme für den Erhalt der Alten Schule Äbtissinsteig eingesetzt hat:
Vergabe Wohnbaugrundstücks Alte Schule, Äbtissinsteig 6, Essen-Steele
„Diese Stadt hat zu viele Dinge schon zerstört, dieses Gebäude, zusammen mit der Kirche, bildet ein Ensemble. Es ist für diesen Stadtteil ein prägendes Gebäude.“
(Essener Bürger mit dem Blick auf die Alte Schule, 2017)
Der Kulturbeirat unterstützt die Vergabe des Grundstücks an solche Antragsteller, die das Gebäude Alte Schule erhalten und in das Konzept sozialer Wohnbebauung einbeziehen. Nach unserem jetzigen Kenntnisstand sind das aus der zweistelligen Zahl der Antragsteller allein die gemeinsamen Antragsteller:
Die Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Essen und die TEAMWORK Medienmanagement GmbH, Essen
Ihnen kommt damit ein zentrales Alleinstellungsmerkmal zu. (Sollte diese Voraussetzung falsch sein und weitere Antragsteller den Erhalt des Gebäudes Alten Schule einbeziehen, dann bitten wir um Aufklärung.)
Im Blick auf die Stadtentwicklung fordert der Kulturbeirat, dass nicht umstandslos ein einmaliger Grundstückspreis ausschlaggebend ist, der alle anderen Gesichtspunkte vernachlässigbar macht und sich durch eine dichte Bebauung begründet. Denn das historische Gebäude Alte Schule, 1899 errichtet, stellt in seinen Maßen, Proportionen und in seinem Baukörper (mit gotischem Fensterschnitt) einen nicht in Geldwerten verrechenbaren Wert dar.
Es ist stattdessen einer der wenigen Orte der Erinnerung von Generationen. (Die Homepage der Schule verzeichnet fast vierzig Jahre nach Stilllegung der Schule noch 116 Altschüler*innen im Emailverzeichnis.) Gemeinsam mit der in ca. 250 m Abstand (unter Denkmalsschutz) stehenden Kirche St. Marien bilden sie ein städtebauliches Ensemble.
Beides, Schule und Kirche, durch den Äbtissinsteig verbunden, sind im weiteren Umfeld der eineinhalb geschossigen Nach-Weltkrieg II-Bebauung der einzige, die Erinnerung ermöglichende Identifikationspunkt, an dem Eltern ihren Kinder z. B. den die Gotik historisierenden Schulbau der Kaiser-Wilhelm II-Zeit erklären können. (Nach dem Motto: Was verbindet die Alte Schule mit dem Kölner Dom?)
Nur mit diesen Identifikationspunkten ist eine Erinnerung an Orte möglich, die das ausdrücken, was seit 2010 Das Wir des Ruhrgebiets ausmacht und mit dem Begriff Heimat im emphatischen Sinne verbunden ist.
Das wird noch deutlicher, wenn die nachschulische Nutzung des Gebäudes einbezogen wird.
1. Herbert Lungwitz, Bildhauer, 1988 – 1992
Der Bildhauer Herbert Lungwitz, 1913 geboren, war Student an der Nachfolge-Hochschule des 1930 nach Dessau aus Thüringen geflohenen Bauhauses in Weimar. Nach dem Krieg blieb er im Westen, wurde 1948 als Lehrender des Faches Bildhauerkunst an der Folkwang-Hochschule angestellt. Seit 1951 arbeitete er freiberuflich in Essen.
Er gestaltete u. a. die Fassade des Amerika-Hauses auf dem Kennedy-Platz (heute Europa-Haus), die Reliefs am Eingang des Grillo-Theaters und den drei Meter hohen Berliner Bär, der 1959 auf dem Berliner Platz aufgestellt wurde.
Er löste sich weitgehend von der abbildhaften Darstellung und fertigte teils auch abstrakte Skulpturen, die allerdings in den Sechziger Jahren noch nicht verstanden wurden. So griff er teilweise auf die abbildhaften Formen zurück, so z. B. in der Drei-Figuren-Gruppe Die Familie, mit deren Aufstellung in Kettwig der Skulpturenpark 1985 eröffnet wurde.
1988 überließ ihm die Stadt die stillgelegte Alte Schule als Atelier und gestattete ihm – unter dem eindrucksvollen Baumbestand des Schulhofes – einen Skulpturenpark zu errichten, der von den Anwohnern zu unterschiedlichsten Anlässen als Rahmen für Familienfeiern u. a. genutzt wurde.
Die Städte Essen, Bochum und Weimar sind heute im Besitz einer Auswahl der Werke. 2013 hat sein Sohn in Weimar eine Ausstellung der ihm zugänglichen Werke zum 100-jährigen Jubiläum gestaltet. Das Folkwang-Museum führt ihn im Katalog der Künstler*innen als mit Werken vorhanden auf.
2. Doris Schöttler-Boll, Bildende Künstlerin, 1996 – 2015
Ab 1996 hat die Bildende Künstlerin Doris Schöttler-Boll die Alte Schule als Atelier, Ausstellungsfläche und (nach privater Investition in das Dachgeschoss) als Wohnung genutzt. Ihre hyperrealen Fotomontagen, die seit den 1970er Jahren die Genderthematik einbezogen, sind erst nach ihrem Tod durch eine umfassende Retrospektive im Forum Kunst und Architektur einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich geworden.
Es ist kennzeichnend, dass Florian Ebner, der jetzt zum Centre Pompidou in Paris wechselnde Leiter der Fotoabteilung des Museum Folkwang ihren Nachlass in das Folkwang-Archiv übernommen hat.
Das Gebäude Alte Schule war zwischen 1996 und 2015 eine vielfältige Begegnungsstätte, in der postmoderne Gesellschaftstheorie und ihre Ausdrucksformen in der Bildenden Kunst zusammen gedacht wurden. Die Regelmäßigkeit der Vorträge und Workshops und ihr theoretischer Anspruch hatten einen universitären Seminarcharakter, was erst durch die Retrospektive auf die Fülle der auswärtigen Referent*innen deutlich wurde.
Zusammengefasst – Mit gewisser Vorsicht lässt sich heute schon behaupten, dass Doris Schöttler-Boll die vielleicht herausragendste Künstlerin des Dekonstruktivismus im Essener Raum war, die vor der Folie der Arbeiten von Michel Foucault, Jacques Derrida, Jean Baudrillard oder Dem Wilden Denken des Claude Lévy-Strauss die Entmaterialisierung der Realität und Begriffe wie Simulation und Virtualität aufgenommen und umgesetzt hat.
Unter dem Strich: Beide Künstler, Herbert Lungwitz und Doris Schöttler-Boll verdienen es, dass (in gewisser Weise) an sie in dem Gebäude Alte Schule auf sie Bezug genommen wird, dass etwas von Ihnen sichtbar ist und bleibt – wenn es keine andere Form städtischer Erinnerung an sie geben sollte.“
Soweit die Erklärung des Kulturbeirats.
Über solche Beschlüsse hinaus müssen aber auch deutliche Zeichen außerhalb von Gremien gesetzt werden – deshalb:
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„Der 1957 verstorbene Künstler Will Lammert hat eine Würdigung als Namensgeber des Vorplatzes des Südwestfriedhofes verdient. Denn am Haupteingang des Südwestfriedhofes befinden sich in den Scheitelsteinen des Torbogens und in der Trauerhalle wichtige Frühwerke dieses Künstlers.
Will Lammert lebte von 1922 bis 1933 in Essen auf der Margarethenhöhe, wo er in der Künstlerkolonie ein Atelier bewohnte. Viele seiner plastischen Kunstwerke wurden während des Nationalsozialismus zerstört, da die Nazis sein künstlerisches Schaffen als `entartet´ verfemten. Zuletzt wurde sein Werk durch die Sonderausstellung `Aufbruch im Westen´ des Ruhr Museums über die Künstlerkolonie der Margarethenhöhe gewürdigt, die als eines der bedeutendsten künstlerischen Experimente im Ruhrgebiet gilt.
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