Bücherverbrennungen im Mai und im Juni 1933
– fast ein Alleinstellungsmerkmal für Essen
85 Jahre sind eigentlich schon ein Zeitraum, für den sich bei wichtigen Ereignissen, ein ausführlicherer oder wenigstens kurzer Rückblick, vielleicht sogar eine besondere Veranstaltung lohnen sollte. Die beiden Bücherverbrennungen in unserer Stadt am 19. Mai 1933 auf dem Schulhof des damals noch in der Heinickestraße residierenden Helmholtz-Realgymnasiums und die durch den Stadtbibliotheksleiter und nationalsozialistischen Schriftsteller Richard Euringer veranlaßte Verbrennungsaktion vom 21. Juni 1933 gehören im Jahr 2018 wohl leider nicht dazu. Grüne und verschiedene andere Gruppen und Initiativen wollen das jetzt ändern.
Aktuelle Ausgangslage: Weder gab es im Mai zu dieser Kulturbarberei irgendwelche Hinweise auf der Webseite des heutigen Helmholtzgymnasiums – selbst die Rubrik Schulgeschichte deutet nur an: „Offenbar hat die Weltgeschichte zu den HG-Jubiläen oft besondere, außerordentlich grauenhafte oder auch geradezu sensationell-erfreuliche Ereignisse bereitgehalten.“ Auch haben Volkshochschule oder Stadtbibliothek dazu keine einzige Veranstaltung im Programm – selbst die städtischen „Grün- und Gruga Betriebe hatten wohl keine Order, zumindest angesichts dieses Unkulturjahrestages einmal die Gedenktafel zur Bücherverbrennung am Gerlingsplatz wieder sichtbar freizuschneiden. Aber zumindest hat jetzt der Pächter des angrenzenden Biergartens des Panoptikums angekündigt, hier kulturell wohltuend zur Schere zu greifen.
Historie:
NS-Kulturziel: Essen sollte „Braunes Weimar“ werden
Das ist sehr bedauerlich, denn gerade in der Frühphase der nationalsozialistischen Machtübernahme in Essen hatten die neuen Stadtväter, insbesondere auch der frühere Verleger der Rheinisch-Westfälischen Zeitung Theodor Reismann-Grone, der jetzt als Oberbürgermeister eingesetzt wurde, ambitionierte Kulturziele. Er wollte insbesondere u.a. mit Stadtbibliothek. Literatur und Theater die konservative Revolution im kulturellen Bereich vorexerzieren, ein sogenanntes „braunes Weimar“ etablieren. Hatten in Essen doch vor 1933 viele spannende Auseinandersetzungen im Programm der Volkshochschule, der Ausrichtung der Stadtbibliothek, von Schauspiel und Oper , kritischen Romanveröffentlichen und Zeitschriften stattgefunden. Solche scheinbar „geistig zersetzende Asphaltpresse oder Asphaltliteraten“ wie es im damaligen Jargon hieß, wurden jetzt nachhaltig ausgemerzt.
Zum besonderen, oft behördlich veranlaßten Akt der Bücherverbrennungen war es insbesondere in Berlin auf verschiedenen Schulen mehrfach bereits ab dem 5. Mai gekommen. Aber jenseits der Reichshauptstadt ist zumindest für das Ruhrgebiet durchaus nicht in jeder Stadt aktenkundig, dass dort die Scheiterhaufen der Bücher brannten. Für das Ruhrgebiet sind am 10. März und am 9. Juni in Bochum, am 30. März in Dortmund, in Gladbeck am 1. Juli, in Recklinghausen am 14. Juli und in unserer Landeshauptstadt Düsseldorf am 11.April Bücherverbrennungen inszeniert worden.
Essener Bücherverbrennung zur Sonnenwendfeier
Im Internet-Blog von Dr. Birgit Ebbert finden wir zur quasi stadtoffiziellen Bücherverbrennung auf dem frisch in „Platz des 21. März“ ( Eröffnungstag des damals im März 1933 bereits weitgehend nationalsozialistisch dominierten Reichstags – auch als Tag von Potsdam bekannt ) umbenannten bisherigen „Republikplatz“, der im Kaiserreich und auch heute wieder „Gerlingplatz“ heißt, folgende Beschreibung:
„Eine größere Aktion fand am 21. Juni 1933 auf dem Gerlingplatz statt. Nach Reden von Paul Kaden, dem Kreisobmann der Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation, und Richard Euringer, Schriftsteller und Leiter der Stadtbücherei, zündete der SA-Standartenführer Dahlem den Bücherberg an, der auf dem Gerlingsplatz aufgehäuft worden war.“
Im aktuellen Interneteintrag des Essener Stadtarchivs ist u.a. folgendes vermerkt:
Am 21. Juni 1933 fand auf dem Gerlingplatz in Essen eine Sonnenwendfeier der besonderen Art statt. Es brannten keine hölzernen Scheite, sondern die SA hatte aus den Büchern u.a. von Thomas und Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Ernst Toller und Kurt Tucholsky einen „Scheiterhaufen des Undeutschen“ – so die National-Zeitung – errichtet. Der Schauplatz der Bücherverbrennung war bewusst
ausgewählt worden, denn der Gerlingplatz …. war der traditionelle Versammlungsort der Essener Arbeiterbewegung. Daher sollten an diesem historisch konnotierten Ort die Schriften der genannten „unseligen Volksverräter“ verbrannt werden. „Aus dem roten Fanal möge sich ein neuer deutscher Geist entwickeln“, schloss Knaden seine einleitenden Ausführungen. Nach ihm feierte der Schriftsteller Richard Euringer, der neu ernannte Leiter der Stadtbücherei, den barbarischen Akt als Befreiungsschlag: „Dieses Geschreibsel wird nun heute in Flammen aufgehen. Das ist schön, symbolisch, bildhaft.“ Die versammelten SA- und SS-Leute, die Mitglieder der NSBO ( nationalsozialistische Betriebsorganisation), die Jungen in HJ-Uniform, aber auch die neugierigen Männer und Frauen, die gekommen waren, um das Spektakel der Bücherverbrennung mitzuerleben, sahen dann, wie der SA-Standartenführer Dahlem den Bücherberg anzündete.
„Verspätete“ Bücherverbrennung in Essen
Die Essener waren mit ihrer Bücherverbrennung Nachzügler, denn in den Universitätsstädten des deutschen Reichs loderten die Flammen bereits am 10. Mai.
Da das Ruhrgebiet keine Universitäten aufwies, blieben an diesem Tag die Vernichtungsaktionen aus. Doch in den einzelnen Städten wurden sie schnell nachgeholt, so am 29. Mai in Dortmund und am 3. Juni in Bochum. Allein Essen fehlte, obwohl das Helmholtz-Realgymnasium bereits am 19. Mai vorgeprescht war.
Auf dem Schulhof wurden Bücher von Toller, Renn, Thomas Mann, Zuckmayr etc., die teils aus der Schulbibliothek stammten, teils von den Schülern mitgebracht worden waren, verbrannt. „Mit innerer Genugtuung“, berichtete die National-Zeitung, „sahen Schüler und Lehrer, wie Buch auf Buch in den Flammen verschwanden. Unter dem Gesang des Liedes: ‚Flamme empor…‘ fand der Verbrennungsakt seinen Abschluß.
Drei essener Schriftsteller unter den verbotenen Autoren.
Ob vor 85 Jahren auf dem Scheiterhaufen brennender Bücher, örtlich etwa dort, wo sich jetzt der Biergarten der tradtionsreichen Kneipe „Panoptikum“ befindet, auch die Bücher des schreibenden Bergarbeiters Hans Marchwitza, des eher linksintellektuellen Erik Reger oder von Franz Krey, Redakteur des bis zu seinem Verbot in Essen herausgegebenen kommunistischen „Ruhr-Echo“ befanden, ist nicht überliefert. Zumindest hatten alle drei bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung lange Jahre in unserer Stadt gelebt und die Inhalte ihrer Romane aus den Konflikten mitten hier Ruhrgebiet bezogen.
Hans Marchwitza und Franz Krey standen als Autodidakten mit ihren Werken an vorderster Front der kommunistischen Kulturarbeit, die mit Zeitungsgartikel, Gedichten und Romanen die Gegenwart revolutionär verändern wollten.
Hans Marchwitzas Roman „Sturm auf Essen“
Marchwitza hatte bereits 1930 mit „Sturm auf Essen“ die Buchreihe „Der rote 1-Mark-Roman“ eröffnet. In Reportageform mit – damals mehr als ungewöhnlich – sehr deutlichem „Ruhrpottdeutsch“ werden in diesem Roman die Kämpfe bewaffneter Ruhrarbeiter gegen die Freikorpssöldner des Kapp-Putches vom März 1920 darstellt, die bereits in Berlin die demokratisch gewählte, SPD-geführte Reichsregierung zur Flucht nach Süddeutschland gezwungen hatte. Hans Marchwitza, der auf Seiten der Bergarbeiter selbst einen Widerstandstrupp angeführt hatte, konnte mit diesem realistischen Buch im Reportagestil auf rund 15000 verkaufte Exemplare verweisen. Im Zuge verschiedener Zensurmaßnahmen unter den Notverordnungen der späten Weimarer Republik wurde „Sturm auf Essen“ allerdings bereits 1931 verboten, hatte es bis dahin jedoch bereits zu Übersetzungen in verschiedene Sprachen gebracht.
Franz Krey: „Maria und der § 218“
Der Literaturwissenschaftler Dirk Hallenberger konnte hier einige biographische Daten Zusammentragen: Der 1904 in Essen geborene und 1997 auch hier gestorbene Franz Krey hatte ebenfalls zeitweise im Bergbau gearbeitet und sich später der KPD angeschlossen. Seit 1932 war er Feuilletonchef des »Ruhr-Echo«, kurzzeitig Mitarbeiter für die »Weltbühne«, 1933 im illegalen Widerstand aktiv und 1935 in Verfahren
wegen Hochverrats verurteilt. Franz Kreys einziger, 1931 veröffentlichter Roman
„Maria und der Paragraph §218“ brachte es auf eine Auflage von 35000 gedruckten Büchern. Es setzte sich vor der Kulisse der Stadt Essen mit den Nöten von Frauen auseinander, die bösester Doppelmoral wegen verbotener Abtreibungen, andererseits größten Gesundheitsgefahren ausgesetzt sind und auch noch strafrechtlich verfolgt werden. Schlielich werden diese Frauen auch noch in die Illegalität getrieben. Dass ein Roman, der die Frage der notwendigen Liberalisierung des § 218 stellt, von den Nazis verboten wurde, ist kaum verwunderlich. Zudem war auch die literarische Darstellungsform als Kriminalroman äußerst modern und eigentlich in der kommunistischen Literaturszene dieser Zeit als bürgerlich verpönt, umso ungewöhnlicher, dass dieser Text in der „Roter 1-Mark-Roman“ Reihe erschienen war.
Erik Reger und die „Union der festen Hand“
Als früherer Leiter im kruppschen Pressebüro kannte Erik Reger viele Interna der kruppschen Firmenpolitik der zwanziger Jahre . In seinem als ersten, als „Industrieroman“ bezeichnetem Werk, stellt er u.a. kaum verschlüsselt den Umgang mit Gewerkschaften, mit der Stadt Essen, und insbesondere das Fördern der noch schwachen NSDAP durch einen Industriellenbund im Ruhrgebiet der zwanziger Jahre vor. Der Bund, man könnte auch Loge sagen, hieß tatsächlich „Ruhrlade“ und nicht „Union der festen Hand“, war aber laut Romankontext den gesellschaften Entwicklungen immer steuernd eine Nasenlänge voraus und manipulierte vor allem auch bereits wesentlich die öffentliche Darstellung wichtiger Ereignisse im Ruhrgebiet. Wegen dieser besonderen literarischen Modernität erhielt Reger bereits 1931 im Erscheinungsjahr des Romans gemeinsam mit Ödön von Horvath den renomierten „Kleist-Preis“. Auch sein zweiter Roman „Das wachsame Hähnchen“, der in ähnlicher satirischer Form die kommunalen Verwicklungen im Ruhrgebiet anfang der dreissiger Jahre darstellt, wurde verboten. Reger konnte später zwar weiter publizieren, beschränkte sich dann aber bis Kriegsende auf reine Unterhaltungsliteratur, ohne sich den Nationalsozialsiten irgendwie anzubiedern.
Nachkriegsgeschichte der verfemten Autoren
Im Gegensatz zu anderen, insbesondere jüdischen Autoren, ist hier zum Glück nur von Schriftstellern verbrannter Bücher die Rede. Alle drei konnten die nationalsozialistische Diktatur als Personen überleben. Franz Krey trat nach dem 2. Weltkrieg wohl nicht mehr weiter literarisch in erscheinung. Erik Reger allerdings wurde nach 1945 erster Herausgeber des renomierten Tagesspiegel in Berlin. Hans Marchwitza war bereits 1933 die Immigration mit Stationen über die Schweiz, Spanien, Frankreich und schließlich die USA gelungen, wo er sich bis Kriegsende als Bauarbeiter durchschlug. Nach der Rückkehr nach Deutschland hatte Marchwitza sich schließlich in der DDR zu einer Art Nationalschriftsteller entwickelt und den Staatsaufbau dort unkritisch begleitet, was aber seine Werke insbesondere aus den frühen dreissiger Jahren und dem Exil nicht weniger lesenswert macht.
Heute gegen Zensur aktiv werden – den 21. Juni vormerken.
Grundsätzlich gäbe es also viele Möglichkeiten, die Erinnerung an die Bücherverbrennungen gerade in Essen wachzuhalten. Auch außerhalb der Listen oft genannter, literarisch vielleicht bedeutungsschwererer Autoren und Autorinnen sollte diese spezielle essener Kulturbarberei zwischen 1933 und 1945 im Blick bleiben. Das schärft sicherlich den Blick und die aktivierende Empörung gegen politsche Zensur in der Gegenwart.
Spätestens zum 21. Juni 2018 soll nicht nur die Mahntafel an die Bücherverbrennung auf dem Gerlingplatz wieder frei ersichtlich sein. Grüne planen jetzt im Verbund mit anderen Gruppen an diesem Tag vor Ort eine Gedenkveranstaltung u.a. mit kurzen Lesungen aus Werken dieser im Nationalsozialismus verfemten Autor*innen organisieren. Dabei werden wir auch Raum lassen, für Hinweise auf die zensurreiche Gegenwart, und oft lebensbedrohliche Lage vieler engagierter Schriftsteller*innen und Journalist*innen in viel zu vielen Ländern unserer Welt.
Details des Programms und offiziell Beteiligte dieser am späten Nachmittag des 21. Juni geplanter (Beginn etwa 17-18.00 Uhr) literarisch kulturellen Gedenkveranstaltung werden natürlich noch gesondert bekannt gegeben.
Link zum Bericht von der Gedenkveranstaltung am 21. Juni 2018
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